„Den EU-Parlamentariern muss bewusst sein, dass die europäische Presselandschaft den Sauerstoff unserer Demokratie produziert. Je länger amerikanische Internetkonzerne unsere Leistungen untergraben, desto dünner wird die Luft in unserer Gesellschaft. Wer auch im digitalen Zeitalter in einem funktionierenden und demokratischen Europa leben will, der muss sich für den Schutz teuer produzierter Qualitätsinhalte stark machen“, so Grünberger.
Im Rahmen des EU-Medienurheberrechtspaket hat die EU-Kommission ein Leistungsschutzrecht vorgeschlagen, das den Verlegern die Möglichkeit gibt, gegen die unlizenzierte Nutzung ihrer wertvollen Online-Inhalte vorzugehen. Die EU-Parlamentarier werden in den kommenden Monaten über diesen Vorschlag abstimmen und so über die Zukunft unabhängiger Medien in Europa entscheiden.
Keynote von Bundeskanzler Kern
Als „Zeitungsnerd“ outete sich Kanzler Christian Kern bei der Eröffnung des European Newspaper Congress 2017. Sein Befund: „Politik und Medien bedienen eine Spirale des Populismus und dieser Populismus hat mit dem Leben der Menschen wenig zu tun“. Wenn der „Algorithmus als der neue Gott der Quote gesehen wird“, gehe das von der Überwachung Marke Orwell zur Gestaltung der Gesellschaft von außen über, warnte Kern: „„Die Freiheit wird instrumentalisiert“. Kern bekannte sich zum kritischen Journalismus und plädierte für eine Ordnungspolitik, die es Medien ermögliche, klare Antworten zu geben. Eine „ungeheuerliche Wettbewerbsverzerrung“ sei, „dass die österreichischen Medien Steuern abzuliefern haben, die internationalen Giganten jedoch nicht“.
Den Kongress bestimmen die Praktiker, und sie haben in der von Kern beschriebenen Medienszene das Fürchten verlernt. Ihre Erfolgsstrategien: Die FAZ präsentierte ihr Hochglanz-Quarterly nach dem Grundsatz: „Feiere Dein Produkt und statte es üppig aus“. „Umfeldsicherheit bringt Werbung“, sagte Thomas Lindner, der für das Produkt auf die 250-Journalisten der FAZ-Redaktion zurückgreifen kann. Dass „Magazine Produkte für die digitale Gesellschaft“ sind, bestätigte auch Julia Jäkel, CEO von Gruner+Jahr. So sei die gute alte „Brigitte“ eines der führenden Magazine im Online-Sektor. Jäkel sprach von einer „neuen Wertschätzung“, die der Journalismus zur Zeit erlebe. Strategie sei gut, Wachsamkeit besser.
„kress“-Awards in Wien verliehen
Haltung zeigen, Interessen der Menschen vertreten, unterschiedliche Meinungen wieder aushalten – das verlangt Giovanni di Lorenzo, Chefredakteur der Wochenzeitung „Die Zeit“ von den Medienleuten. Er erhielt im Wiener Rathaus den Award der Branchenzeitschrift „kress“ als „Chefredakteur des Jahres“.
„Meinungsvielfalt ist das Grundprinzip unserer Arbeit, das es zu verteidigen gilt“, sagte di Lorenzo zu ENC-Besuchern. Entschieden wandte er sich gegen „diese Art von Gesinnungspolizei, die sofort stigmatisiert, was nicht hereinpasst“. Und an die Verleger gewandt kritisierte er, dass sie „mit den Giganten wie Facebook, viel zu zahm umgehen, weil sie Angst haben, uncool zu wirken.“ Die Achillesferse der Giganten sei ihr Image, von dem die Werbeeinnahmen abhingen. Hier müsse man ansetzen.
„Die Leserinnen und Leser wollen in ihrer Meinung respektiert werden“, verlangte di Lorenzo. Wie das mit dem Werkzeug des kritischen konstruktiven Journalismus gelingt, bei dem Probleme geschildert, Lösungen gesucht und hinterfragt werden, davon berichtete beim Kongress Oliver Reinhard von der „Sächsischen Zeitung“. Die Erfahrung aus einem halben Jahr: „Höhere Leserakzeptanz, mehr Arbeit, bestens geeignet für Lokaljournalismus.“
Neben Giovanni di Lorenzo zeichnete „kress“ drei weitere Entscheider der Medienbranche aus. Als Newcomerin des Jahres wählten die Leserinnen und Leser von „kress“ Nora Beckershaus von Refinery29, zur Medienmanagerin des Jahres kürten die Leserinnen und Leser von „kress“ Julia Jäkel, Chefin des Hamburger Verlags Gruner + Jahr.
Zur Verlegerin des Jahres wählte die „kress“-Redaktion Petra Grotkamp, Gesellschafterin der Funke Mediengruppe („Westdeutsche Allgemeine Zeitung“, „Berliner Morgenpost“, „Hörzu“). Den Preis nahm Julia Becker, Tochter von Petra Grotkamp, bei der Preisverleihung in Wien persönlich entgegen.
Die Zeitungstrends 2017 präsentierte der international tätige Zeitungsdesigner Norbert Küpper: Zusätzliche Angebote wie der Morning-Newsletter des Chefredakteurs oder eine App mit den wichtigsten zwölf Nachrichten des Tages. Verstärkte Background-Berichterstattung, aufgepeppt mit grafischen Elementen und Bildern sowie ungebrochen das visuelle Storytelling mit überraschenden Bildelementen standen bei seinem kurzweiligen Vortrag im Mittelpunkt.
Der European Newspaper Congress wurde vom Medienfachverlag Johann Oberauer und Norbert Küpper, Zeitungsdesigner in Deutschland, veranstaltet. Kooperationspartner wie JTI, die Stadt Wien, OMV und der Verband der Österreichischen Zeitungen unterstützen maßgeblich die Veranstaltung.